Stefan Heizinger geht es nicht um die malerische Umsetzung eines Medienbildes, sondern dieses ist lediglich Träger einer viel tiefsinnigeren Bildinformation.
Tina Teufel, Kuratorin Museum der Moderne Salzburg
Wendepunkt (Grablegen nach Caravaggio)
Stefan Heizinger thematisiert in seinem Werk nicht selten politische Themen, vereint im Bereich der Politik tätige Persönlichkeiten, politische Symbole mit scheinbar alltäglichen Sujets und verknüpft das inhaltliche Gebaren mit einer ausgeklügelten Palette an stilistischen Feinheiten.
Im Gegensatz zu zahlreichen KünstlerkollegInnen geht es Stefan Heizinger nicht um die malerische Umsetzung eines Medienbildes, sondern dieses ist lediglich
Träger einer viel tiefsinnigeren Bildinformation, ein Ensemble von Statisten für den Diskurs zwischen Malgrund und Malmittel. Kein Wunder also, dass er sich auch mit zu Ikonen gewordenen Gemälden
der Kunstgeschichte auseinandersetzt und in diesem Fall eines der bekanntesten Gemälde des römischen Barock und eines der wichtigsten Werke eines seiner schillerndsten und polarisierendsten
Künstlerpersönlichkeiten wählte: die „Grablegung Christi“ von Michelangelo Merisi, genannt Caravaggio (1571-1610), entstanden 1602-04. Caravaggio, dessen Werke immer wieder umstritten waren,
unbezahlt blieben und nicht nur die klerikalen Gemüter erhitzten, pointierte seine Werke immer mit einer gesellschaftspolitischen Note. Seine „Grablegung“, die geringfügig größer ist als das
Gemälde Stefan Heizingers, dient hier nicht als „Vorlage“ für ein politisch-sakrales Anliegen, sondern es ist vielmehr die Arbeitsweise des lombardischen Künstlers, sein Umgang mit An- und
Abwesenheit von Farbe, seine theatralische Inszenierung von Licht und Schatten, der bühnenartige Umgang mit dem Raum.
Es sind dies alles für KünstlerInnen relevante Themen, die niemals an Aktualität verloren, in fast regelmäßigen Abständen immer wieder ein Primat im jeweils
aktuellen Kunstdiskurs eingenommen haben. Auch im Barock, unter anderem in der Gegenüberstellung von Caravaggio und den mit ihm um Ruhm und Aufträge in Konkurrenz stehenden Carracci-Brüdern, ist
das Mit- und Nebeneinander von Stilen, künstlerischen Vorlieben Gang und Gebe. Stefan Heizinger vereint in seinen Bildern zwei alte Streitdisziplinen: Malerei und Zeichnung, Volumen und Linie,
Gegenständliches und Abstraktion. Indem er die homogene, sich auffächernd erhebende Gruppe aus Caravaggios Gemälde auflöst, den fast schwarzen Hintergrund farbig akzentuiert und „teilt“,
entwickelt er eine neue Gewichtsverteilung, setzt die Schwerkraft stellenweise außer Kraft und verschränkt die bei Caravaggio deutlich markierten Raumebenen. Das Bekannte wird zu einer neuen
Herausforderung für die Perzeption, die Farbe gewinnt an Kraft und Gewicht gegenüber den angedeuteten Volumina der Körper. Der auf die BetrachterIn gerichtete Blick des Nikodemus ist nicht mehr
lediglich Aufforderung, sich in das Geschehen einzubringen, sondern die Szenerie aufzulösen, neue Lösungen zu finden. Stefan Heizinger betont Schemata und Dynamiken des Bildaufbaus, die im
Original erst auf den zweiten Blick und nur im unmittelbaren Vergleich auffallen.
Schon 1999 attestierte die niederländische Kulturwissenschaftlerin Mieke Bal in ihrem Buch „Quoting Caravaggio. Contemporary Art, Preposterous History“ (The
University of Chicago Press) der zeitgenössischen Kunst eine viel tiefgründigere Beziehung zur „alten Kunst“, in dem die Annäherung nämlich in Form einer Analyse geschieht, welche gleichsam
Konsequenzen für die Betrachtung und das Verständnis der Werke beider Epochen und deren Stilmittel hervorruft und dem zeitgenössischen Bild eine gleichbedeutende Funktion als Quelle zuspricht,
unterstreicht, dass wir Bilder, Abbildungen, Gemälde selten mit „reinem“ Blick betrachten und (fast) immer unsere eigenen, eben zeitgenössischen Wahrnehmungsschemata anwenden, ohne in Betracht zu
ziehen, dass – wie im aktuellen Beispiel – im barocken Rom ganz andere visuelle Parameter vorherrschend waren.
Es entsteht somit nicht nur eine enge, historische Verbindung zwischen beiden Künstlern, sondern auch eine – gewollte – Bedeutungsverschiebung, stellt das
Vor-Bild doch ebenso eine Interpretation dar, meist aus einem literarischen Kontext, wie in diesem Fall die visuelle Umsetzung der Grablegung Christi aus der Bibel. Zusätzlich adaptiert Stefan
Heizinger als zeitgenössischer Künstler also nicht nur die visuelle Darstellung der Szene, sondern auch seine literarische Quelle, worauf er im Titel explizit hinweist: „Wendepunkt Grablegen“
verdeutlicht die Episode viel umfangreicher als das Original, stellt dieses doch in Wahrheit nicht die tatsächliche Grablegung dar – geschweige denn die oft genannte Kreuzabnahme –, sondern
erstens einen für die Religionsgeschichte und ihre Auslegung wichtigen Wendepunkt im Leben und Wirken Jesu Christi und zweitens ein Grablegen als Aktion: Nikodemus, der mit Jesus Christus zur
Hauptperson in Stefan Heizingers Gemälde wird, legt den Leichnam nicht etwa in ein Grab, sondern auf jene Platte, welche die Gruft dereinst verschließen sollte. Die drei Marien lösen sich in
Klagegesten und Gedankenkräusel auf, während vom jungen Johannes lediglich ein stark abstrahiertes Gesicht und die Jesus in der Achsel stützende Hand übrigbleiben und somit optische Verwirrung
stiften.
Das kunsthistorische Zitat fungiert gleichsam als Verknüpfung zwischen Ikonografie und Intertextualität und findet seinen Platz in der Anlehnung an visuelle und
linguistische Traditionen der Interpretation.